Da wir in einer Gesellschaft leben, in der – in der Terminologie Erich Fromms – die Existenzweise des Habens vorherrschend ist, möchte ich das Thema des Alterns und Habens vertiefen. Denn eben der Aktualität unserer Gesellschaft geschuldet ist ein großer Bedarf da. Bedenken wir zum Beispiel den Faktor der Vermögensaufteilung in der Familie wie im vorherigen Beitrag ausgeführt, bleibt es eine Herausforderung, die man gerade im fortgeschrittenen Alter eher vermeiden möchte. Auch wenn die intergenerationale Reziprozität der gegenseitigen finanziellen und sozialen Unterstützung bereits Tradition hat, neigen besonders wohlhabende Personen in einer besonders komplizierten Situation dazu, diese Tradition zu brechen. In diesem, aber auch in anderen Fällen, tappen diese Personen in die Falle der „Paradoxien der Großzügigkeit“, wie Saul Levmore sie nennt. Ein quälendes Phänomen, dass diese Paradoxien begleitet ist das Aufschieben.

Die Unsicherheit darüber, wie sich ihre Familien entwickeln und ob es ihren Wünschen entsprechen wird, verleitet wohlhabende Menschen nicht selten dazu, die Planung ihrer Vermächtnisse und ihren letzen Willen aufzuschieben. Sie entscheiden sich entweder dazu das Testament geheim zu halten, drohen es zu ändern oder weigern sich gar es zu verfassen. Ferner unterrichten sie ihre Familie über die öffentlichen oder wirtschaftlichen Wohltätigkeiten, die sie zu tätigen planen, sodass die potenziellen Erben sich mit wenig oder nichts begnügen müssen. Oft genug wird das Testament auch unreflektiert oder gar unbewusst aufgeschoben, um ein Mittel in der Hand zu behalten, das Verhalten der potenziellen Erben oder Begünstigten vorteilhaft zu beeinflussen oder die Pflege im Altern zu „erpressen“. Eine solche Strategie nimmt jedoch der alternden Person die Gelegenheit in Würde zu altern – die Ruhe ersetzen die meist gespielten Aufmerksamkeiten und Zuwendungen, die Liebe wird zweckrationalisiert, die Beziehungen zwischen den potenziellen WohltäterInnen und ihren Begünstigten, sowie zwischen den potenziellen Begünstigten untereinander, sind nachhaltig vergiftet. Die Ungewissheit, Eifer und Konkurrenz treiben alle in den Wahnsinn.

Aus einer weiteren Perspektive, die gegen das Aufschieben des Nachlasses spricht, ist die sehr wahrscheinliche Korruption der ansonsten intrinsischen Zuneigung zu der alternden Person durch extrinsische Motivation und die an sie gekoppelte Vergütung. Eine sonst aus dem Herzen kommende Liebe, Pflege und Aufmerksamkeit wird nun ihrer Qualität nach unter ein Damoklesschwert gestellt und verliert ihren Selbstzweck als aufrichtiger Ausdruck und wird zu einem Trauerspiel, einer Tragödie, einer Farce – die sonst selbständige Entscheidung wird nun fremdbestimmt. Auch der nächste Aspekt betrifft die Selbstbestimmung, jedoch gerade der WohltäterInnen selbst, und zwar schmerzhaft. Wie ich in meinem zweiten Beitrag beschrieben habe, bringt das Altern oft nicht nur den körperlichen Zerfall mit sich. Ein verschleppter Nachlass ist der Gefahr ausgesetzt, die Irrationalitäten und Hypersensibilitäten in die Entscheidung miteinfließen zu lassen, die die Person bei klarem Verstande als solche deuten und unterlassen würde. Es ist eine bittere Pille, die wir unter allen anderen Medikamenten schlucken müssen, wenn wir zu spät entscheiden. Es ist ein Segen, wenn wir im fortgeschrittenen Alter noch die mentale Klarheit und emotionale Stabilität behalten. Diesen Segen können wir jedoch nicht planen.

Ein Rat, den ich aus dieser Analyse und meiner Erfahrung ziehe, möchte ich vorwegnehmen: Sollte man es sich leisten können, wäre es sinnvoll genau den Teil vor dem Ableben nicht zu vererben oder zu verschenken, der die unabhängige Pflege sichert. So ist jegliche Zuneigung seitens der Angehörigen und insbesondere der Kinder von diesem Druck entkoppelt. Darüber hinaus ist eine ehrliche und offene Kommunikation zwischen den Generationen eine notwendige Bedingung, die möglichen Missverständnisse und damit einhergehende Konflikte zumindest zu reduzieren. Sowohl materielle als auch ideelle Gaben sollen hier ihren Tauschwert komplett verlieren, um Reziprozität anstatt Marktlogik walten zu lassen, um das Soziale nicht zu ökonomisieren und die Liebe nicht zu instrumentalisieren. Diese Gabe kann nur intrinsisch motiviert sein; die Dankbarkeit akzeptiert, aber nicht verlangt. Die Reziprozität kann einen aus der Zuneigung und Pflichtmoral drohenden Ruin und Elend vermeiden. Eine sich oft wiederholende Tragödie folgt dem Szenario, dass eine zumeist angeheiratete Person, zumeist Frau, zumeist zum zweiten Mal ihren Job aufgibt, um für die pflegebedürftigen Eltern ihres (in manchen Fällen sogar ehemaligen) Ehemannes zu sorgen. Es bedarf keine höheren Mathematik um abzusehen, dass diese Frau von ihrer Rente nicht leben können wird.

Abgesehen von den ausschließlich persönlichen Dimensionen lassen sich diese Überlegungen mit einer gewissen Transferleistung auch auf jene Fälle übertragen, wo der Nachlass in Beziehung zwischen Privatpersonen und Organisationen, oder auch umgekehrt eintritt. So können Privatpersonen ihr Vermögen an Organisationen übertragen, Organisationen an Privatpersonen und Organisationen an Organisationen. Meine persönliche Erfahrung hat gezeigt, dass, je höher die Komplexität eines solchen Transfer ausfällt, umso höhere Kompetenz abverlangt sie von der Dienstleistung, die sie begleitet. Für diese Philosophie und Kompetenz stehe ich mit meinem Namen und unserem Unternehmen.