Das zähe Fließen der Zeit. In einem Altbau dauert es ein bisschen länger, bis dir die Decke auf den Kopf fällt. In meinem Fall werde ich eher von einer der einstürzenden Büchersäulen erschlagen, die sich um mich herum einen Tempel zu errichten scheinen. Der Bildungsbürgerturm. Aus Elfenbein, natürlich, auf den Schultern von Riesen erbaut. Die Säulen werden die Decke zumindest stützen. Sein und Zeit. Sein und Nichts. Prozess und Realität…Wahrscheinlich wird es eher der neue Zweibänder von Habermas sein – die zwei Bücher liegen ganz oben auf einer der Säulen. Frisch geliefert. Duften nach Schlafmohn des Glaubens und Granit des Wissens. Als Steuerberater und Salonbetreiber fühlte ich mich schon immer mitten im Leben, umgeben von Menschen, umgeben von der Welt. Es war eine aufregende, gärende, sich um mich drehende Welt. Aber nicht aus der egozentrischen Perspektive drehte die Welt sich um mich, sondern wegen ihrer schwindelerregenden Beschleunigung, im Hamsterrad rotierenden Karrieremenschen und zirkulären Argumentationen. In einer solchen Welt kommt jegliche Antwort zu den Fragen immer zu spät. Wenn früher der liebe Sokratis noch auf den Markt ging, um seine Fragen zu stellen, kommt heute der Markt selbst zu uns nach Hause. Und die einzige Frage, die ihn interessiert, ist die Nachfrage. So wuchs mein Angebot an Fragen – sagen wir mal – inflationär. Ah ja, ich bin ja auch noch Stiftungsexperte und die Ko·ry·phäe (Wörterbuch zu!) in Sachen Erbschaftsteuer. Wie lautet das Sprichwort noch mal? Time is money! Obwohl, ne, „time is honey“ hieß es früher bei Franklin. Das zähe Fließen der Zeit.

Obwohl heute hieße es eher „der rasende Stillstand“, fällt mir Virilio ins Wort. Ich stimme ihm zu – der Honig der Corona-Lethargie legte sich langsam um die sich um mich drehende Welt. Man kann die Welt nicht digitalisieren. Zumindest nicht mit der narkoleptischen Politik, die die Digitalisierung verschlafen hat. Die digitale Welt ist eine andere, eine neue, eine Parallelwelt, die sich beschleunigt. Zumindest so gut es der Breitbandanschluss erlaubt. Man kann höchstens in die Schnittstelle, in das wunderschön designte Interface zwischen der realen und der digitalen Welt mit einem Vorschlaghammer, gegossen aus unseren Daten, ein Fenster einschlagen. Oder mehrere. Windows! Und ich lehne mich gern aus diesen Windows weit hinaus. Ich fühle mich dabei wie in einem ICE, in dem alles stillsteht, aber tut man den Kopf aus dem Fenster bei voller Geschwindigkeit, ist die Schnauze voll und die Haare raufen sich zu Berge. Sie ist ja schön und gut, diese Welt. Aber sie reicht mir nicht. Ich brauche einen Körper. Einen Körper, den man wachrütteln kann. Raus aus der Lethargie. Klatsche links, Klatsche rechts. Bitte wachen Sie auf, ich habe Fragen!

Und so entschließe ich mich auf eine Corona-konforme Reise. Mit einem Frachter, dessen Ladelücken voll mit zollfreien Fragen geladen sind. Ich schaue in die Inventarliste: die Sinnfragen, Lebensfragen, Altersfragen, Angstfragen, Todesfragen, Fragebögen, Frageschilder…Frageschwerter? Ah, ne, die werfen wir übers Bord in Wasser. Damit kann man doch nur in See stechen. Ich klopfe mir auf die Schenkel. Die Matrosen werden rot und gehen in den Keller lachen. Rote Matrosen – das heißt wohl nicht umsonst: die Schiffsbesatzung. Ich streiche den Winterpalast von meinen Reisezielen. Ich schweife ab – wo waren wir? Ah ja – in See stechen. Odyssee. Hin an den Sirenen vorbei, vom Mythos in die Aufklärung. Und wenn wir einen Schiffbruch erleiden, dann bitte mit Zuschauern, Herr Blumenberg! Ahoi.